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Training, Freude, Eierkuchen

Kennt ihr diesen Moment auch? Zwei Wochen Trainingslager neigen sich dem Ende zu und ihr beschließt, dass es doch so langsam an der Zeit wäre eine Postkarte zu schreiben. Ihr kauft also schöne Ansichtskarten, dazu einige Briefmarken, wühlt ein bisschen zwischen euren OL-Socken bis ihr einen Stift findet, der nicht gerade ein roter Fineliner ist, sucht euch während der Mittagspause ein ruhiges, schattiges Fleckchen und wollt übermotiviert losschreiben.
Genau so geht es mir gerade. Ich sitze hier in der “Hobbit-Höhle”, dem wunderschönen gemütlichen kleinen Häuschen mit dem urigen Pflanzendach, in dem wir uns so oft während einer der Mahlzeiten zurückgezogen haben und versuche meine Gedanken zu ordnen.

Beim Denken schaue ich in den Himmel, und während ich die Wolken am Himmel vorbeiziehen sehe, sehe ich die ganzen Erinnerungen und Eindrücke der letzten Wochen vor meinem inneren Auge vorbeiziehen. Verträumt und mit einem Lächeln auf dem Gesicht starre ich also so vor mich hin und genieße es, im Publikum meines “Erinnerungstheaters” zu sitzen. Doch dann schweift mein Blick plötzlich flüchtig über die Postkarte auf dem Tisch vor mir und mir wird bewusst, dass es unmöglich ist, all diese Momente zu komprimieren und in Buchstaben und Wörter kodiert auf Papier zu bringen. Verzweifelt starre ich also auf die Karte und drehe sie gedankenversunken herum.

Auf der Vorderseite ist Røros zu sehen, eine niedliche norwegische Stadt, die wie aus einer Spielzeugwelt wirkt, mit ihren bunten, hölzernen Häuschen. Doch wenn man sich die Karte einmal genauer ansieht, kann man noch mehr entdecken. Zwischen den Häusern sind Zwerge und Wichtel zu sehen, die kleinen, geheimen Bewohner von Røros.
Diese kleinen Kreaturen wuseln durch die Straßen und wirken höchst beschäftigt. Doch einer der Wichtel auf der Karte scheint sich einen Moment Zeit genommen zu haben. Von der Karte aus schaut er mich an und zwinkert mir zu. Sein Blick scheint zu sagen: “Hei (Hallo auf norwegisch), soll ich dir helfen? Ich kann dir ja mal erzählen, wie ich die letzten Wochen wahrgenommen habe. Vielleicht hilft dir das dabei, die richtigen Worte zu finden.
“Gerne”, murmele ich und da fängt er auch schon an zu erzählen:


“Also, vor nicht allzu langer Zeit, vor zirka zwei Wochen, da gab es plötzlich einen Aufruhr im Zwergendorf. Schon verwandte Zwerge aus Schweden sendeten mir Nachrichten, dass ich die Ohren steifhalten solle. Eine große Karawane an Bussen würde sich durch die skandinavischen Wälder bewegen, in Richtung Norwegen. Von Weitem waren sie schon leicht an freudigem Gelächter und fröhlicher Musik zu hören. Das fanden alle Zwerge furchtbar aufregend. Die Zwerge waren da nicht die einzigen, denn auch die menschlichen Bewohner Norwegens streckten neugierig die Köpfe aus den Fenstern, als die außergewöhnliche Kolonne ein Dorf nach dem anderen durchquerte. Wie wahrscheinlich jeder Zwerg, der eine dieser aufregenden Nachrichten erhalten hatte, hoffte ich, die Reisegruppe selbst zu Gesicht zu bekommen. Doch wie groß ist diese Wahrscheinlichkeit schon? Umso erstaunter war ich also, als ich nach einem langen Arbeitstag zu meiner Zwergenhöhle nicht unweit des Campingplatzes in Røros zurückkehrte und dort plötzlich lauter kleine Menschlein in grünen Pullis rumwuselten. Sollte das tatsächlich der berüchtigte Trupp sein? Ich nahm mir vor, die Geschehnisse so genau wie möglich zu beobachten.

Das stellte sich dann auch als leichter als gedacht heraus, denn die meiste Zeit verbrachten die grünen Menschlein in meiner unmittelbaren Nähe, im gemütlichen, sumpfigen Unterholz der norwegischen Wälder. Bevor das große Getummel los ging, hingen sie oft orange-weiße Sonnenschirme auf, unter denen wir Wichtel dann das Spektakel genau beobachten konnten. Egal wie sie es machten, wir Zwerge genossen es ihnen zuzusehen. Manchmal hüpften die Menschlein elegant wie die jungen Rehe durch den Wald, so dass es eine pure Freude war ihnen dabei zuzusehen. Andere Male nahmen sich die Menschlein Zeit, um den Wald in all seiner Pracht zu entdecken und zu erkunden. Leidenschaftlich schauten sie hinter jeden Stein, hinter jede Wurzel und drehten, weil es ihnen so gut gefiel, gleich nochmal eine extra Runde auf dem Weg zum Sonnenschirm.

Zwar wirkten die Menschen sehr glücklich, wie sie da durch die Wilderei hoppelten, gleichzeitig wirkte ihre Tätigkeit aber auch sehr erschöpfend. Darum dachten wir Wichtel, wir könnten doch unsere Freunde etwas unterstützen. Immer früh, bevor die Wesen wieder in die Wildnis aufgebrochen sind, haben wir unsere Lieblingsleckerei, saftige, dicke Blaubeeren, überall auf der Strecke verteilt, damit sie sich unterwegs stärken können. Das ist offensichtlich bei allen gut angekommen, denn oft kehrten die grünen Menschlein mit dunkelblauen Zungen und Lippen aus den Wäldern wieder. Jedoch mussten sich die Menschlein dann vorsehen, wenn sie aus dem Wald zurückkamen. Wenn sie sich doch einmal länger im Wald aufgehalten haben und mit verschmiertem Mund wiederkamen, kamen sie mit der Ausrede: “Ich habe wirklich ausdauernd gesucht, aber den Posten einfach nicht gefunden”, vielleicht nicht mehr durch.

Eines Tages hörten meine Freunde und ich dann von einem besonderen Ereignis. Ein Sumpfsprint solle ausgetragen werden. Zeitig machten wir uns also auf den Weg, um den besagten Sumpf zu finden. Dort saßen wir dann am Rand und beobachteten das Spektakel. Glücklicherweise hatten wir alle unter großen Pilzen Platz genommen, die uns wie Regenschirme vor dem Schlamm, den es in alle Richtungen verspritze, schützten.

Manchmal hörten wir Zwerge, wie sich die Menschlein darüber freuten, dass sie doch für norwegische Verhältnisse tolles Wetter erwischt hätten. Doch darüber konnten wir nur schmunzeln. Das war kein Glück! Wer jeden Abend so fleißig bei Stabi den Sonnengruß macht, der kann doch nur mit gutem Wetter belohnt werden.
Wir Zwerge waren alle so mitgerissen von der guten Unterhaltung, dass wir uns auch abends, wenn sich die Menschlein in ihre Hütten oder Zelte verkrümelten, auf die Fensterbänke setzten und hineinspähten. Dort konnten wir dann sehen, wie die Menschlein wie Raupen in ihren Schlafsäcken auf den Sofas kuschelten und Karten spielten, EM schauten oder gemeinsam OL-Karten auswerteten. Manchmal stellte sich das aber als gar nicht so einfach für uns heraus, denn oft zogen die Menschlein ihre Fenster mit Gardinen aus Socken, Trikots und Leggins zu. Und nichts gegen meine Freunde, die grünen Menschlein, aber manchmal konnte man es einfach nicht lange auf der Fensterbank aushalten, wenn ein narkotisierender Dunst von muffigen OL-Schuhen durch die Ritzen an den Fenstern waberte.

Was uns als Zwerge sehr erstaunt hat: Diese fleißigen Wesen hatten sogar Schulunterricht, während der Ferien. Eines Abends wurde in Mathematik scheinbar die Gaußsche-Verteilungskurve gelehrt und das auf eine höchst interessante Weise. Zunächst wurden 322 Eierkuchen gebacken. Anschließend wurde die Meute grüner Menschlein darauf losgelassen. Nachdem sich dann alle nach der Anzahl verspeister Eierkuchen aufstellten, hatten wir sie, unsere Gaußsche Verteilungskurve.

Apropos Eierkuchen: Das war für uns Zwerge eine besonders spannende Beobachtung. Unter den Menschlein schienen auch einige dabei gewesen zu sein, die mehr als einen Tropfen Wichtelblut in ihren Adern hatten. Unermüdlich rührten, schnippelten und werkelten diese fleißigen Heinzelmännchen in der Küche. Das schien bei den grünen Menschlein gut anzukommen. So trafen sie sich oft mitten auf dem Zeltplatz, hockten wie die Hühner auf der Stange, dass sich die Bänke bogen, und ließen sich die Köstlichkeiten schmecken (bis auch mal die Stühle rissen). Da auch wir Zwerge manchmal etwas von den Leckerbissen zu kosten bekamen, haben wir uns natürlich darüber Gedanken gemacht, wie wir uns für diese milde Gabe bedanken könnten. Aus diesem Grund kontaktierten wir unseren Freund den Elch und baten ihn, sich doch früh, wenn die Heinzelmänner einkaufen fuhren, mal an die Straße zu stellen.

Nicht nur die Elche hatten die Ehre genauere Bekanntschaft mit dem lustigen Trupp zu machen. Auch die Vöglein berichteten immer wieder von interessanten Begegnungen. Zum Trupp gehörten nämlich auch zwei besondere Vögel, die oft über der versammelten Mannschaft schwirrten und die Gruppe mit ihrem einen Auge genau beäugten. Diese speziellen Vögel sind dafür berüchtigt, dass sie ein nahezu fotographisches Gedächtnis haben. Einige Gedanken und Erinnerungen dieser Vögel findet ihr hier unter folgendem
Link.

An dieser Stelle unterbrach der kleine Zwerg seine Schilderungen und ich fiel ihm ins Wort:
“Dankeschön! Du warst eine unglaubliche Hilfe. Jetzt weiß ich genau, wie das Wichtigste am besten auf einer A5-Postkarte festgehalten werden kann.”

Also schrieb ich:
“Liebe Trainer, Betreuer, lieber Joachim und alle, die dazu beigetragen haben, dieses Trainingslager in Norwegen zu ermöglichen, wir verlassen Norwegen physisch geschwächt, aber in Motivation und Begeisterung für Sport und OL gestärkt. Dafür möchten wir uns ganz herzlich bei euch bedanken.
Euer Sachsenkader”


Und in Gedanken fügte ich noch hinzu:
Sogar die Wichtel des Weihnachtsmanns waren begeistert von dieser fröhlichen und braven Gruppe OLer. Da habt ihr doch sicher Lust, nächstes Jahr wieder mit uns wegzufahren, oder?

Elsa Marie Barthel
Fotos: Peter Gawlitza

  https://www.orientierungslauf-sachsen.de/images/2022/pdf/TL_Norwegen_Elsa_Barthel_mit_Link_korr.pdf